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Durch einfache Zeichengebung zu einer Verdichtung
von Wesentlichem gelangen. Meine Sehnsucht nach solch unverbildeter
Ausdrucksform ist gross. Das Kind findet durch scheinbar undefinierbares
Gekritzel zu 'seiner' Verwirklichung. Jede hingeschriebene Linie, jede
Figuration verwandelt sich ständig und wird zur Quelle unzähliger
Geschichten. Es ist nicht einfach die Kraft der gestalterischen Unschuld
wiederzuerlangen. Eine Fülle von intellektuell Angelerntem drängt sich auf,
hemmt und bemächtigt sich der spielenden Hand. Diesen 'geistigen' Widerstand
gilt es zu bezwingen.
Automatisches und linkshändiges Zeichnen ermöglichen mir, mich dem getreuen
Nachzeichnen, dem 'Akademischen' zu entziehen, mich von der visuellen
Erscheinung der Dinge zu lösen und damit dem Spontanen, dem nicht
kalkulierbaren 'Anderen‘ Raum zu geben. Henri Miller: Die linke Hand ist der
Träumer.
Die stoffliche Wirkung des Materials, das unkontrollierte Wandernlassen des
Stiftes, Zeichnen schliesslich als reine Bewegung, helfen mir meine
Motive/Themen haptisch zu erfassen. Aus den anfänglichen Liniengeweben lösen
sich unmerklich eigendynamische Flächen und Organismen. Jede Linie erlangt
Eigenständigkeit, führt mich in eine neue Welt.
Ein entsprechendes Arbeiten verlangt, dass ich die gewohnten
Bewertungsmassstäbe beiseite schiebe und auch scheinbar Nichtssagendes
akzeptiere. Die Linie erklärt nichts, sie ist Träger der gegenwärtigen
Stimmung, ein Weg mit Ecken und Windungen, sich nährend aus den Ablagerungen
des Lebens. Es geht nicht allein um die Form, sondern um das, was sie als
Inhalt umschliesst - Fragen und Antworten des Lebens. Einer Form habhaft
werden heisst, einer anderen Art von Sprache begegnen.
aus Ausstellungskatalog (2001): Lines that go
for a walk
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